Rede zur Impfprävention (Deutscher Bundestag, 07.12.2021)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Raus aus der Pandemie, das wollen wir alle. Raus aus der Pandemie, das geht nur mit Impfen. Davon sind schon zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger überzeugt. Das letzte Drittel zu überzeugen, bleibt wichtig und muss jetzt mit einer noch gezielteren Aufklärungskampagne forciert werden. Denn die Zeit drängt, und die Impfzurückhaltung kostet immer mehr Menschenleben.

Vor einem Jahr schien es unvorstellbar, dass sich so viele Menschen dem Schutz durch Impfung verweigern. Wir diskutierten darüber, wie wir das Recht aller auf Impfschutz gewährleisten können. Darum haben wir damals dafür gesorgt, dass Menschen, die in sensiblen Bereichen wie Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern arbeiten und sich dabei auch selbst gefährden, zuallererst den Zugang zu den heiß ersehnten Impfstoffen bekamen. Umso enttäuschender ist es, dass noch viel zu viele von ihnen diese Chance nicht ergriffen haben.

Weil wir mit einer Impfung nicht nur uns, sondern auch andere schützen, weil wirksame und sichere Impfstoffe kostenlos für alle zur Verfügung stehen, auch deshalb war ich, wie wohl die meisten hier im Haus, davon überzeugt, dass eine Impfpflicht nicht nötig sein würde. Ja, wir haben es als Gesellschaft eigentlich in der Hand gehabt, uns besser vor all dem zu schützen.

Heute, wo die Intensivstationen voll sind und das Personal am Anschlag ist, müssen wir uns aber eingestehen: Es ist nicht gelungen. Zu viele sind weiter ungeimpft – zu viele, um die Verbreitung des Virus aufzuhalten, zu viele, um besonders verletzliche Menschen vor Ansteckungen schützen zu können. Darum sorgen wir heute mit der Impfpflicht in besonders sensiblen Einrichtungen dafür, dass Gesundheitsfachkräfte, Ärzte, Rettungssanitäter, Physiotherapeuten und, und, und dieses Schutzangebot endlich vollumfänglich annehmen, zu ihrem eigenen Schutz und aus Fürsorge für diejenigen, mit denen sie eng zusammenarbeiten.

Die kollabierende intensivmedizinische Versorgung führt zur extremen, manchmal sogar zur tödlichen Unterversorgung bei anderen schweren Erkrankungen: wenn Schlaganfallpatienten auf andere Kliniken verwiesen werden, wenn schwer erkrankte Krebspatientinnen und -patienten auf ihre lebensrettende Operation werden warten müssen, weil die dafür nötigen Intensivplätze belegt sind von überwiegend ungeimpften Coronapatienten, also von Patienten, in deren Hand es gelegen hätte, gesund zu bleiben oder wenigstens nicht schwer zu erkranken. Krebspatienten haben diese Wahl nicht. Wir dürfen das Sterben und Leiden nicht länger hinnehmen; denn wir haben mit den Impfstoffen ein wirksames Mittel gegen schwere Krankheitsverläufe, und wir müssen dieses Mittel zum Einsatz bringen.

„Sag niemals nie“, diese Weisheit haben schon meine Eltern gekannt, und sie trifft auch auf die Pandemie voll zu. Denn wir haben die unabsehbare Dynamik dieser Pandemie bis heute nicht richtig eingeschätzt. Wir haben nicht mit der Delta-Variante gerechnet und können noch nicht ahnen, was uns Omikron bescheren wird. Darum sorgen wir heute dafür, dass die besonders Verletzlichen so gut wie möglich geschützt werden.

Ja, Infektionen können nie ganz ausgeschlossen werden, und wenn es in einer Pflegeeinrichtung einen Infektionsausbruch gibt, dann heißt das nicht unbedingt, dass dort schlechter Schutz geleistet wurde. Denn seit der Pandemie gibt es enorme Anstrengungen, ganz besonders in Pflegeeinrichtungen, Pflegediensten und Krankenhäusern, durch Testen und Hygienemaßnahmen die Gefahr von Infektionen zu verringern. Aber hundertprozentigen Schutz gibt es nicht.

Wir wissen jedoch: Eine hohe Impfquote ist essenziell, um die Gefahr der Viruseintragung in besonders sensible Einrichtungen zu verringern. Denn akut kranke, vorerkrankte und hochaltrige Menschen haben weniger Möglichkeiten, sich selbst zu schützen. Ja, die Impfungen sind bei ihnen manchmal auch weniger wirksam oder nicht ganz so lange wirksam. Gleichzeitig sind dort enge Kontakte nicht vermeidbar; denn in Gemeinschaftseinrichtungen kommt es ja gerade auch auf die Nähe der Menschen an. Ihre Gesundheit darf nicht davon abhängen, wie hoch die Impfquote in der jeweiligen Einrichtung ist, in der sie versorgt werden. Deshalb braucht es diesen Schritt heute.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, hat eine einrichtungsbezogene Impfpflicht nachdrücklich empfohlen und dabei die professionelle Verantwortung, aber auch die Vorbildfunktion der betroffenen Berufsgruppen für die Erreichung einer hohen Durchimpfungsrate betont. Es sind Berufsgruppen, die sich um besonders verletzliche Personen kümmern, und sie haben immer auch in besonderem Maße Verantwortung übernommen. Seien es Unfallsanitäter, Medizinerinnen und Mediziner, Pflegekräfte oder Beschäftigte in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen – sie werden diese Verantwortung zu tragen wissen.

Aber diese Berufsgruppen, die in dieser Pandemie so viel geleistet haben und leisten, sie alleine werden es nicht schaffen. Raus aus der Pandemie, das wollen wir alle. Deshalb rufe ich alle, die zögern und hadern, jetzt auf: Lassen Sie sich impfen! Damit schützen Sie nicht nur sich selbst, damit retten Sie Leben.

Vielen Dank.