Rede zur Grundsatzdebatte Gesundheit (Deutscher Bundestag, 13.01.2022)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Stresstest der Pandemie zeigen sich deutlich die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems: hoher medizinischer Standard, außerordentliche Leistungsfähigkeit unserer Krankenhäuser und unserer ambulanten Versorgungsstrukturen, aber auf der anderen Seite ausgeprägter Personalmangel in allen Pflegebereichen, schlecht ausgestatteter und überforderter Öffentlicher Gesundheitsdienst und noch immer nicht überwundene Abstimmungsprobleme zwischen dem Bund und den Bundesländern. Das sind die großen Herausforderungen, denen sich die neue Koalition mit großem Verantwortungsbewusstsein stellt, mit dem Mut und der Lust zu Fortschritt und Aufbruch.

Bürgerfreundlicher, transparenter, unbürokratischer soll der Sozialstaat werden, auch in der Gesundheits- und Pflegepolitik. Wir werden die verkrusteten Strukturen in der Pflege aufbrechen und die sektorenübergreifende Versorgung voranbringen. Wir werden Entscheidungsprozesse beschleunigen. Warum eigentlich geht es nicht voran mit den Personalschlüsseln in der Pflege und mit der PPR 2.0 im Krankenhaus? Das werden wir vorantreiben.

Wir werden die Digitalisierung und Entbürokratisierung vorantreiben, damit Pflege wirklich pflegen kann, damit Ärzte und Ärztinnen Zeit zum Sprechen mit ihren Patientinnen und Patienten haben. Überbelastung, Unterbesetzung, schwierige Arbeitsbedingungen, das muss ein Ende haben, weil es die Pflege selbst krank macht. Gute Pflege braucht gute Bezahlung; das muss selbstverständlich sein. Darum braucht es endlich einen ordentlichen Pflegetarifvertrag.

Ja, das alles kostet viel Geld. Aber das muss es uns wert sein. Denn nur so kann es gelingen, mehr Menschen für diese so wichtigen Berufe zu gewinnen. Nur so schützen und fördern wir das öffentliche Gut Pflege.

Allen muss inzwischen klar sein: Es gibt noch etwas Schlimmeres als teure Pflege, nämlich keine Pflege. Deshalb müssen wir in unserer alternden Gesellschaft dafür sorgen, dass wir die größte Herausforderung, nämlich genug Menschen für diese wichtigen Berufe zu gewinnen, wirklich mit langem Atem anpacken. Das ist auch eine Frage des Respekts, wie unser Kanzler Olaf Scholz immer wieder sehr nachdrücklich betont, des Respekts vor dem Leben jedes einzelnen Menschen, aber eben auch des Respekts vor dem, was in der Pflege geleistet wird.

Noch etwas anderes hat uns die Pandemie wie unter einem Brennglas gezeigt, nämlich dass es nicht ausreicht, die Stärken unseres Gesundheitssystems auszubauen und unsere Schwächen zu beheben. Vielmehr ist es bei dieser Debatte dringend nötig, weit über den Tellerrand hinauszuschauen. Denn wer die Pandemie unter Kontrolle bringen will, muss den Blick auf das globale Ganze richten.

Mit mindestens genauso viel Energie wie für unsere heimische Impfkampagne müssen wir dazu beitragen, dass weltweit alle Menschen geimpft werden können. Wir brauchen noch mehr Einsatz bei Covax, dem Impfstoffverteilmechanismus der Weltgesundheitsorganisation, und ein überzeugenderes Engagement der Impfstoffhersteller beim Aufbau von Produktionskapazitäten im Globalen Süden.

Wenn Unternehmen wie Pfizer oder Moderna, auch durch die guten Preise, die von den einkommensstarken Nationen gezahlt werden, derzeit pro Sekunde 1.000 Dollar verdienen, dann haben sie die verdammte Pflicht, dafür zu sorgen, dass endlich auch die Menschen in den ärmsten Ländern dieser Welt geimpft werden können. Nur so kommen wir aus dem Strudel heraus, der uns immer neue Mutationen bescheren kann.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler zulassen?

Heike Baehrens: Ja.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön.

Kathrin Vogler (DIE LINKE): Liebe Kollegin Heike Baehrens, ich finde, Sie haben da einen wichtigen und richtigen Punkt angesprochen. Ich freue mich auch, dass die Regierungsfraktionen diese Sachlage erkannt haben. Aber warum verschließen Sie sich dann nach wie vor der Forderung wichtiger großer Schwellen- und Entwicklungsländer, die Patente für Medizinprodukte, Arzneimittel und Impfstoffe aufzuheben, damit Fabriken, beispielsweise in Südafrika, Indien oder anderen Ländern des Globalen Südens, in die Lage versetzt werden, ohne Lizenzzahlungen an die ohnehin sehr gut verdienenden Pharmaunternehmen in den reichen Ländern selber diese notwendigen Produkte zur Bewältigung der Pandemie zu produzieren und damit eben auch einen Grundstock zu legen gegen die Entstehung immer neuer Virusvarianten, die dann ja auch zu uns kommen?

Heike Baehrens: Vielen Dank, Frau Vogler, für diese Nachfrage. – Sie kennen ja meine persönliche Haltung dazu. Ich kann Ihnen auch klar sagen: Diese Regierung verschließt sich dieser Diskussion nicht. Es wird sehr ernsthaft darüber nachgedacht, wie man es machen kann und ob es der richtige Weg ist, mit der vorübergehenden Aussetzung von Patenten den Zugang zu den Impfstoffen zu beschleunigen. Natürlich braucht der Produktionsaufbau in den Ländern des Globalen Südens sehr viel Zeit; wir brauchen aber heute den Zugang zu den Impfstoffen. Deshalb mein klarer Appell an die Impfstoffhersteller: Sie haben es in der Hand, heute dafür zu sorgen, dass Impfstoffe eben nicht nur schnell dorthin gelangen, wo hohe Preise gezahlt werden, sondern auch dorthin, wo eben keine hohen Preise gezahlt werden und die Menschen die Impfstoffe nicht erhalten.

Vielen Dank für Ihre Frage.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, auch der Kollege Sorge hat eine Zwischenfrage. Wollen Sie diese auch noch zulassen?

Heike Baehrens: Sehr gerne.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann bitte schön.

Tino Sorge (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Kollegin Baehrens, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie hatten ja in Ihren Ausführungen das übliche Argument des Sozialneides angeführt, dass die bösen Unternehmen doch mehr zahlen sollten und sich gar nicht an sozialen Dingen beteiligen würden. Ich würde Sie dazu gern etwas fragen. Wir haben in Deutschland mit BioNTech glücklicherweise ein Unternehmen, das auch bei Impfstoffen sehr innovativ ist. Ist Ihnen bekannt, dass BioNTech für das letzte Jahr über 1 Milliarde Euro Steuern an die Stadt Mainz zahlt und dass sogar Ihr Kollege, Herr Ebling, seines Zeichens SPD-Oberbürgermeister, das mit Freude zur Kenntnis genommen hat? Wie passt das zu Ihren Ausführungen, dass Unternehmen sich an solchen Dingen nicht beteiligen? Das würde mich mal interessieren.

Vielen Dank.

Heike Baehrens: Vielen Dank, Herr Sorge, für die Nachfrage. – Zum Ersten habe ich überhaupt nicht über Sozialneid gesprochen. Das will ich hier klarstellen. Zum Zweiten sollte es selbstverständlich sein, dass Unternehmen, die in unserem Land Gewinne erwirtschaften, auch in unserem Land, also dort, wo sie ihre Standorte haben, ordentlich Steuern zahlen.

Es ist gut für die Stadt Mainz und gut für das Land Rheinland-Pfalz, dass diese Firma dort ansässig ist. Aber es ist mindestens genauso gut, dass Deutschland mit seinen Forschungs- und Förderprogrammen ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass diejenigen, die zum Beispiel an Krebsmedikamenten geforscht haben, jetzt die Möglichkeit hatten, diese jahrzehntelange Forschung umzusetzen, um ganz schnell einen Impfstoff zu produzieren.

Das ist hoch anerkennenswert, aber auch deshalb zustande gekommen, weil diese Unternehmen, weil diese Forscherinnen und Forscher öffentlich gefördert wurden. Deshalb haben diese Unternehmen die Verantwortung, das, was dabei herausgekommen ist, diese enormen Renditen, auch wieder der Gemeinwohlverantwortung zuzuführen. Daher sage ich: Wir haben hier international eine große Verantwortung, aber auch die Unternehmen haben hier eine riesengroße Verantwortung.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich Investitionen in Gesundheit weltweit vielfach auszahlen werden. Wo Menschen öffentlich abgesichert oder sozialversichert sind, werden sie nicht von den Behandlungskosten überfordert und in Armut gedrängt. Wo alle Bevölkerungsgruppen direkten Zugang zur notwendigen Gesundheitsversorgung haben, können sie ein Leben in Würde führen. Das ist die Grundlage für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Staaten in Frieden miteinander leben und handeln können. Dafür brauchen wir auch eine starke Weltgesundheitsorganisation als leitende koordinierende Instanz beim Krisenmanagement, zur Prävention und für den Aufbau einer universellen Gesundheitsversorgung für alle. Dafür sollte sich Deutschland auch in Zukunft starkmachen.

Ich komme zum Schluss. Ja, wir wissen, worauf es in der nationalen und globalen Gesundheitspolitik ankommt. Ich freue mich, mit Ihnen gemeinsam daran arbeiten zu können.

Vielen Dank.