Am 28.01.2017 erschien in der Geislinger Zeitung ein Interview mit Heike Baehrens. Hier finden Sie die ungekürzte Version dieses Interviews.
Frau Baehrens, die SPD hat endlich einen Kanzlerkandidaten gekürt. Wen hätten Sie erwartet – Sigmar Gabriel oder Martin Schulz?
Baehrens: Ich hatte schon damit gerechnet, dass Sigmar Gabriel an den Start geht. Darum habe ich seinen Rückzug am Dienstag als Paukenschlag empfunden. Aber ganz im positiven Sinne. Man spürte, dass es für ihn eine wohlüberlegte Entscheidung war, bei der es ihm vor allem um die Erfolgschancen für die SPD geht. Ich halte es für eine kluge und hochrespektable Entscheidung.
Für welche Politik steht ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz?
Martin ist ein sehr glaubwürdiger und überzeugter Sozialdemokrat. Er hat am Dienstag in unserer Fraktionssitzung deutlich gemacht, wie wichtig es ihm ist, dass wir vorankommen in unserem Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit. Gleichzeitig ist er als Vollbluteuropäer ein Gegengewicht zu den Abschottungstendenzen auf der Weltbühne und bei uns im Land. Das verbindet er auf tolle Weise mit einer Nähe zu den Menschen, die in seinem persönlichen Lebensweg aber auch in seiner politischen Heimat in der Kommunalpolitik wurzelt.
Für die CDU war die erneute Kandidatur der Kanzlerin alternativlos.
Die Tragik der Union ist es, dass sie gar keine Alternative hat. Es ist unsere Stärke, dass wir mehrere potenzielle Kandidaten zur Verfügung haben.
Frage: Frau Baehrens, wie steht es denn gerade um die große Koalition?
Baehrens: Ich würde sagen, sie macht ihre Arbeit und setzt konzentriert das fort, was sie begonnen hat. Wir haben noch ein paar Gesetzesvorhaben vor uns. Manches hängt noch in der Pipeline: Die Pflegeberufe-Reform geht leider gar nicht voran, weil die Union das gemeinsame Konzept wieder in Frage gestellt hat. Das bedauere ich sehr, weil wir ja gerade jetzt einen Schritt weitergehen müssten, um für die Pflege auch in Zukunft geeignete Kräfte gewinnen zu können. Aber in vielen anderen Bereichen kommen wir gut voran.
Was möchten Sie bis zur Wahl im September noch abgeschlossen haben?
Wir wollen bei der Rente einen Schritt weitergehen: zum Beispiel die Angleichung der Renten in Ost und West. Da hoffen wir, dass wir mit der Union eine Vereinbarung hinbekommen. Zum anderen ist es aber auch wichtig, für die Erwerbsminderungsrentner noch etwas zu tun, die ja doch sehr niedrige Renten haben. Wenn jemand aufgrund von Krankheit vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheidet, dann muss er trotzdem eine ordentliche Rente bekommen. Da wollen wir nachbessern.
Es heißt, in puncto Soziales diktiere die SPD derzeit der CDU die Wirtschaftspolitik.
Nun, selbst Hermann Färber hat in einem Interview in der GZ gesagt, dass zu vieles gemacht wurde, was die SPD möchte. Darüber freue ich mich natürlich. Weil es deutlich macht, das auch der kleinere Koalitionspartner mit wichtigen sozialpolitischen Themen in dieser Koalition Erfolge erzielen konnte. Das war uns wichtig. Uns war wichtig, dass der Mindestlohn endlich eingeführt wurde, dass wir bei der Rente einiges bewegt haben und dass wir noch einmal ein Bildungspaket geschnürt haben, um Familien besser unterstützen zu können. Da haben wir an ein paar Stellen ganz, ganz wichtige Akzente gesetzt.
Und welche Baustellen haben Sie lieber dem Koalitionspartner überlassen?
Ich glaube, wir haben versucht, in dieser Koalition sehr konstruktiv miteinander zu arbeiten. Man hat das im Vorfeld schon gemerkt, dass wir bei den Koalitionsverhandlungen ganz viele Themen verankert haben, die wir dann auch mit der Union Schritt für Schritt beackert und umgesetzt haben.
Wenn das so gut funktioniert, wollen Sie dann mit Angela Merkel weiterregieren?
Unser Ziel ist natürlich, dass die Sozialdemokratie in der Gesellschaft wieder mehr Rückhalt bekommt. Uns ist es schon wichtig, dass wir unsere Kernanliegen konsequent voranbringen können. Wenn man bei 25 Prozent der Wählerstimmen landet, kann man das natürlich nicht in dem Maße tun, wie wir uns das eigentlich wünschen. Daher setze ich mich vor allem dafür ein, wieder mehr Wähler zu gewinnen.
Den jüngsten Umfragen zufolge wird das nicht so einfach sein.
Ja, das betrübt mich sehr. Wir haben so wenig Arbeitslose wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir haben eine wirtschaftliche Stabilität und sind gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise durchgekommen. Es scheint also, dass wir ein ganz stabiles Fundament haben. Aber dem entspricht nicht die Stimmungslage im Land.
Woran liegt das?
Das hängt damit zusammen, dass derzeit durch die vielen Konfliktlagen, die wir haben, der Eindruck entsteht, dass das Land insgesamt schlecht dastehen würde. Darüber müssen wir ins Gespräch kommen. Es gibt Konfliktherde und Kriege in dieser Welt, deren Auswirkungen auch wir hier in Deutschland spüren. Wie die Tatsache, dass es mittlerweile auch hier Terroranschläge gibt. Man hat den Eindruck, wir könnten uns im Moment nicht ausreichend schützen vor solchen Gewaltakten. Ich glaube, das verunsichert viele Menschen im Land.
Wie wollen Sie jene Wähler im Wahlkreis Göppingen gewinnen, die derzeit eher die einfachen Antworten bevorzugen?
Durch Sachargumente, im Gespräch, im direkten Kontakt mit den Bürgern. Ich erlebe, dass das durchaus möglich ist. Zum Beispiel in meiner Bürgersprechstunde oder bei vielen Gesprächen, die wir jetzt bei Neujahrsempfängen oder bei anderen Begegnungen haben. Die Schwierigkeit ist, dass wir dort nur wenigen Menschen begegnen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Wege finden, wie wir innerhalb der Gesellschaft wieder über die Themen diskutieren und auch ringen können um gute Antworten. Der Dialog mit den Menschen ist die wichtigste Basis, um an dieser Stelle weiter zu kommen.
Brauchen wir vielleicht auch mehr Emotion in der Politik?
Was meinen Sie damit?
Mehr Leidenschaftlichkeit angesichts einer Kanzlerin, deren emotionale Regung durch eine Raute zum Ausdruck kommt, ansonsten aber sachlich und kühl wirkt.
Auf der anderen Seite reagiert ein Sigmar Gabriel emotional und sagt vielleicht auch etwas, das eher unkonventionell ist. Dann ist die Aufregung auch wieder groß. Es geht darum, die Balance hinzubekommen zwischen Emotionalität und Rationalität. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, wieder etwas mehr Besonnenheit im politischen Handeln walten lassen. Ich mache mir Sorgen, wenn Verantwortungsträger sich den Aussagen der Populisten anschließen…
… weil beispielsweise die hiesige CDU wieder die Leitkultur betont?
Wenn beispielsweise ein Horst Seehofer meint, man brauche keine Besonnenheit, sondern Entschlossenheit. Da baut er einen falschen Gegensatz auf. Denn Besonnenheit ist ja eigentlich die Kernbotschaft der Kardinaltugenden: Verlässlichkeit, Klugheit. Besonnenes Handeln ist gerade dann immer gefragt, wenn die Probleme am größten sind. Also in einer Zeit wie jetzt. Nur mit Emotionalität gewinnen wir die Leute nicht. Sondern auch damit, dass gezeigt wird, dass dieser Staat handlungsfähig ist.
Zum Beispiel in der Flüchtlingskrise?
Ja, und das eben auch dort, wo man Schwachpunkte entdeckt. Wo man feststellt, dass Behörden nicht ausreichend zusammenarbeiten und ein Gewalttäter wie der Berliner Attentäter Anis Amri durch die Netze schlüpfen kann. Dann muss man konsequent nachschauen, wo man etwas verbessern muss. Fatal finde ich es aber, dann gleich die gesamte Sicherheitsarchitektur in Frage zu stellen.
Da fordert man das Einschreiten des Staates ein, und wenn er einschreitet, dann hinterfragt man, ob es verhältnismäßig ist?
Wir gehen derzeit die Dinge viel zu polarisiert an. Auch, wie wir mit unseren Sicherheitsbehörden umgehen und wie schnell wir das Handeln der Polizisten in Frage stellen. Das ist nicht gut. Denn diejenigen, die für unsere Sicherheit sorgen sollen, brauchen auch den Rückhalt der Gesellschaft, und nicht nur in Sonntagsreden. In solch schwierigen Situationen muss man ihnen den Rücken stärken.
Wie halten Sie es künftig mit der Linkspartei?
Die betrachte ich aktuell sehr kritisch. Da gibt es an vielen Stellen politische Schnittstellen. Besonders wenn es um sozialpolitische Themen geht, gibt es Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Wenn es aber um außenpolitische Fragen geht oder den Umgang mit dem Populismus, der zur Zeit so viel Resonanz findet, da sehe ich das Vorgehen der Linken doch äußerst kritisch und kann mir nicht recht vorstellen, wie man da gemeinsam Politik machen will.
Also keine rot-rot-grüne Machtoption?
Es ist noch nicht die Zeit, um über Koalitionen zu spekulieren.
Das sagen Politiker immer.
Ja, aber man muss auch sehen: Das Parlament wird sich in seiner Struktur mit Sicherheit verändern Da bieten sich ja ganz neue Optionen. So oder so.
Zum Beispiel, indem die AfD ins Parlament einzieht.
Es könnte aber auch die FDP wieder in den Bundestag kommen. Das ist durchaus eine Partei, die aus unserer Sicht koalitionsfähig ist. Wir sollten jetzt einfach mal abwarten. In diesem Jahr kann noch so viel passieren. Auch im letzten Jahr bei der Landtagswahl gab es so viele unvorhersehbare Ereignisse, die am Ende den Ausschlag gegeben haben für die tatsächliche Zusammensetzung des Parlaments. Das warten wir mal ab.
Gabriel hat ja auch mal gesagt, man dürfe angesichts der Flüchtlingskrise die Sorgen der eigenen Bevölkerung nicht vergessen. Ist das nicht ungewöhnlich für die SPD?
Ich finde, das ist eine ganz wichtige Botschaft. Er hat sie immer auch damit verbunden, was wir schon alles getan haben. Es ist uns schon wichtig, dass wir die sozialpolitischen Herausforderungen, die wir haben, genauso ernst nehmen. Es ist zum Beispiel ganz unbefriedigend, dass es nach wie vor nicht möglich ist, ausreichend Hilfen zur Verfügung zu stellen für Langzeitarbeitslose, zum Beispiel bei der Staufen Arbeits- und Beschäftigungs-GmbH.
Es mangelt auch an bezahlbarem Wohnraum und Arbeitsplätzen für geringfügig Beschäftigte – zum Beispiel zur Integration der Flüchtlinge.
Bei den Zugewanderten muss man erst einmal sehen, welche Erfahrungen und Fähigkeiten vorhanden sind. Da geht es in der Regel erst einmal darum, die vorhandenen Kompetenzen festzustellen, weil es in den Herkunftsländern häufig keine vergleichbaren Berufsabschlüsse gibt. Wir haben über das Integrationsgesetz die Möglichkeiten verbessert.
Aber das Thema Zukunft der Arbeit ist schon eine zentrale Herausforderung, weil es Veränderungsprozesse gibt weg von der Industrieproduktion hin zur Digitalisierung. Das verändert die Arbeit an sich. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass alle eine Chance haben, diesen Weg mitzugehen. Das hat wiederum Konsequenzen für die Bildung. Wir müssen in Schulen und Kindergärten das Erlernen der sozialen Kompetenz genauso ernst nehmen wie die Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen.
Wie viele Asylbewerber verkraften wir noch?
Wir haben nicht mehr die gleiche Situation wie 2015. Es sind ja viele Maßnahmen ergriffen worden, um dem entgegenzuwirken.
Fluchtursachen bekämpfen?
Ja, und wir müssen da noch viel tun. Wir haben aber auch schon viel gemacht, zum Beispiel die Leistungen für die Entwicklungszusammenarbeit deutlich erhöht. Auch die Union hat inzwischen erkannt, dass darin eine Chance liegt, Fluchtursachen abzubauen. Denn wenn es den Menschen in Afrika oder im Nahen Osten nicht gelingt, selbst auf die Füße zu kommen, dann wird es immer mehr Menschen geben, die ihr Glück dort suchen, wo es Wohlstand gibt. Übers Internet ist für jeden sichtbar, wo man ihn finden kann.
Was wollen Sie für den Wahlkreis Göppingen noch bewegen? Warum sollte man Sie wählen?
Weil man darauf vertrauen kann, dass ich sowohl mit einer klaren Haltung Politik mache und mich für Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität einsetze. Das ist mein wesentlicher Beweggrund, warum ich mich politisch engagiere. Und weil man sich darauf verlassen kann, dass ich nicht nur Parteipolitik mache, sondern mich in Berlin als Vertreterin des Wahlkreises Göppingen engagiere. Das heißt eben auch, dass ich die Themen, die uns hier bewegen, im Blick habe: vom Verkehr über Soziales bis hin zur Gesundheitsversorgung, wo ich meinen Arbeitsschwerpunkt habe.