Daseinsvorsorge statt Gewinnmaximierung: Für mehr Gemeinwohlorientierung in der Pflege

Gastbeitrag von Heike Baehrens, Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion in der Frankfurter Rundschau

Seit 25 Jahren gibt es die Pflegeversicherung als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung: eine Erfolgsgeschichte. Sie entlastet Pflegebedürftige und pflegende Angehörige spürbar, hat wesentlich zum Aufbau einer guten Pflegeinfrastruktur, zu Professionalisierung und Qualität in der Pflege beigetragen. 25 Jahre nach ihrer Einführung sollten wir aber auch kritisch reflektieren, wem wir die Gestaltung der Pflege in Zukunft überlassen wollen. Denn mit der Pflegeversicherung kam auch die Marktöffnung in der Pflege und gleichzeitig der Rückzug vieler Kommunen aus der Verantwortung zur Gestaltung und Sicherstellung von Pflege. Das hat jetzt Konsequenzen, die Anlass zur Sorge bieten: Immer mehr Finanzinvestoren drängen in den Pflegesektor. Private Equity Manager und Hedgefonds haben insbesondere Pflegeheime als Anlageobjekte entdeckt, die durch den wachsenden Bedarf sichere Renditen versprechen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Jede Einrichtung – ob privat oder freigemeinnützig – muss betriebswirtschaftlich geführt werden und Überschüsse erwirtschaften. Nur so können bei Bedarf Neuanschaffungen finanziert, das Haus saniert oder konzeptionell weiterentwickelt werden. Und als Betreiber einer Pflegeeinrichtung soll man angemessen verdienen dürfen. Aber spekulative Gewinne zu Gunsten anonymer Investoren lassen sich nicht mit der Würde der Pflege und einem solidarisch finanzierten Versicherungssystem vereinbaren. Wenn Einrichtungen aufgekauft werden, um innerhalb weniger Jahre mit zweistelligen Renditen wieder verkauft zu werden, stehen nicht gute Versorgung und Qualitätsentwicklung in der Pflege im Vordergrund, sondern Gewinnmaximierung. Und das nicht selten auf dem Rücken der Beschäftigten und der Pflegebedürftigen.

Pflege ist nicht irgendeine Ware, die ungeschützt den Regeln des Marktes überlassen werden darf. Menschen entscheiden sich nicht für oder gegen Pflege, wägen Anbieter ab, strafen schlechte Qualität. Sind sie auf Pflege angewiesen, bleibt ihnen kaum eine Wahl, besonders in Zeiten fehlender Fachkräfte und Mangel an Pflegeplätzen. Nein, Pflege muss  wieder als wesentlicher Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge begriffen werden, wo Versorgungssicherheit und Qualität Vorrang vor gewinnorientierter Marktlogik haben. Pflege muss konsequent am Gemeinwohl ausgerichtet werden.

Darum ist es notwendig, Renditen zu begrenzen und den Abfluss von Beitragsgeldern, Eigenanteilen und Sozialhilfemitteln an externe Investoren auszuschließen. Auch über eine Pflegemietpreisbremse muss diskutiert werden. Denn Investoren in Pflegeimmobilien geben den Renditedruck oft in hohen Miet- oder Pachtforderungen an die Betreiber weiter, die ihn an die Bewohnerinnen und Bewohner weiterreichen. Oder werden sie gar durch Personaleinsparungen erwirtschaftet?

Ja, der Bau von Pflegeeinrichtungen kostet Geld. Aber brauchen wir wirklich d i e s e Art von Betongold? Brauchen wir nicht vielmehr Anleger, die sich dafür interessieren, wie Menschen im Alter und bei Pflegebedürftigkeit wohnen wollen? Anleger, denen es wichtig ist, unter welchen Bedingungen Pflegekräfte arbeiten können und wie sie arbeiten wollen. Anleger, die sich vor Ort dafür einsetzen, dass Pflege ein lebendiger Teil der Nachbarschaft wird, wo Begegnung und Austausch die Generationen zusammenführt.

Geld gibt es genug, für das eine sichere Anlage gesucht wird. Gerade in Zeiten von Minuszinsen sollten wir intensiv darüber nachdenken, wie wir alternative, gemeinwohlorientierte Anlagemodelle schaffen können. Die dürfen dann durchaus – angemessene – Erträge bringen. Aber das sollte nicht das Leitmotiv sein.

Wenn wir moderne Pflegekonzepte und innovative Modelle für Pflege und Leben im Alter für unsere Gesellschaft wollen, dann muss öffentlich, also politisch, darüber entschieden werden, wie sich unsere Quartiere entwickeln, welche Pflegeangebote wann und wo entstehen. Pflegefachkräfte und auch Sozialarbeiter müssen mitreden, wenn es darum geht, wie lebenswertes Altern auch dann gestaltet werden kann, wenn zunehmend auch pflegerische Unterstützung gebraucht wird. Da geht es nicht zuerst um spezielle Pflegeeinrichtungen, sondern um altersgerechtes Wohnen, das mit Serviceangeboten rund ums Alter verbunden werden kann.

Darum braucht es nicht Anleger, die ihr Geld in Beton gießen. Es braucht Mitdenker und Mitgestalter einer in Würde alternden Gesellschaft. Und die Länder und Kommunen täten gut daran, das zu fördern – politisch steuernd und gestaltend, aber durchaus auch mit entsprechenden Mitteln.

Pflege geht uns alle an, darum brauchen wir  für die nächsten 25 Jahre eine klare Trendumkehr: weniger Gewinnmaximierung, mehr Gemeinwohlorientierung!