Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen

Interview der Techniker Krankenkasse Baden-Württemberg mit MdB Heike Baehrens

TK: Frau Baehrens, Ihnen liegt bei der Gesundheitsversorgung besonders die Patientenorientierung am Herzen. Kurz und knapp zum Einstieg: Wie würde Ihr Status-Tweet zum „Patient im Mittelpunkt“ in 140 Zeichen lauten?

Baehrens: Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Gleicher Zugang für alle zur medizinischen und gesundheitlichen Versorgung. #Bürgerversicherung

TK: Unter dem Motto „Gesagt – getan – gerecht“ bilanziert Ihre Fraktion die gesundheitspolitischen Beschlüsse der Großen Koalition. Was ist Ihre persönliche Bewertung der Reformen?

Baehrens: In dieser Legislaturperiode haben wir wirklich viel für die Menschen und ihre Gesundheit auf den Weg gebracht: Die Verkürzung von Wartezeiten bei Facharztterminen, den Anspruch auf eine ärztliche Zweitmeinung, Qualitätssicherung und mehr Pflegepersonal für die Krankenhäuser, mehr Gesundheitsförderung und Präventionsmaßnahmen, die Versorgung und würdevolle Begleitung schwerstkranker Menschen am Lebensende, die Einführung der digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen und vieles mehr.

Dazu kommt die Pflegereform mit drei Stärkungsgesetzen und das Pflegezeitgesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf. Eine solche Schwerpunktsetzung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Pflege hat es noch in keiner Legislaturperiode gegeben. All diese neuen Regelungen stärken die Patienten und kommen den Menschen direkt zu Gute.

TK: Pflege wird im Bundestag im Herbst jetzt nochmals ein großes Thema. Welche Maßnahmen werden die Gesundheitspolitiker/innen noch auf den Weg bringen?

Baehrens: Ja, genau. Noch in diesem Jahr werden wir das dritte Pflegestärkungsgesetz verabschieden, mit dem die Rolle der Kommunen in der Pflege gestärkt und der neue Pflegebegriff in das Sozialhilferecht integriert wird. Eng damit verbunden ist auch das Bundesteilhabegesetz, das die Rechte von Menschen mit Behinderung stärken und ihre Teilhabemöglichkeiten verbessern wird. Hier setze ich mich dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen vollen Zugang zu allen Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung erhalten. Dann steht noch die Reform der Pflegeberufe an – ein wichtiger Schritt zur Modernisierung der Ausbildung und zur Aufwertung des Pflegeberufs.

TK: Etwas im Abseits stehen dabei Fragen, wie etwa neue Technologien und der Einsatz von Telematik auch die Pflege verändern werden. Wie wird Ihrer Meinung nach Pflege im Jahr 2030 aussehen?

Baehrens: Aufgrund des demografischen Wandels wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 auf rund 3,4 Millionen erhöhen. Da ist es gut, dass es auch bei technischen Unterstützungssystemen und Hilfsmitteln große Fortschritte gibt. Im häuslichen Bereich werden neue Technologien sicher noch viel mehr als heute das selbständige Wohnen erleichtern.

Auch in der stationären Pflege werden neue Medien und technische Hilfsmittel viel stärker in den Alltag integriert werden als heute, z.B. beim Monitoring oder bei Kommunikation und Vernetzung. Neue Technologien können sicher einen wertvollen Beitrag zur Entlastung der Pflegekräfte leisten. Aber auch 2030 werden sie die Beziehungen und die menschliche Zuwendung als Kern der Pflege nicht ersetzen.

TK: Und was muss getan werden, damit technische Innovationen einen positiven Beitrag leisten und Pflegende entlasten können?

Baehrens: Gerade weil neue Technologien keine Zuwendung und persönliche Fürsorge leisten, ist die Skepsis dieser Berufsgruppe und auch bei den in der Regel nicht besonders Technik affinen älteren Menschen groß. Daher wird es zukünftig auch darum gehen, die Pflegekräfte bei dieser Entwicklung noch stärker mitzunehmen und z.B. die Aneignung von Kernkompetenzen im Bereich der neuen Technologien/Digitalisierung/Telemedizin mehr noch als heute in die Curricula aufzunehmen.

Wenn der Markt wächst wird es immer wichtiger, aus der Vielzahl der Innovationen diejenigen auszuwählen, die zum einen die Pflegekräfte im Alltag entlasten und zum anderen eine wirkliche Verbesserung der Versorgung darstellen. Investitionen in neue Technologien müssen aber auch refinanziert werden. Hier müssen die Krankenkassen noch mehr ihrer Verantwortung gerecht werden, auch wenn sie nicht unmittelbar Einsparungen verbuchen können.

TK: Im kommenden Herbst möchten Sie erneut bei der Bundestagswahl kandidieren. Was sind Ihre ganz persönlichen (gesundheits-)politischen Vorhaben für die nächsten Jahre?

Baehrens: Mit der Pflegereform dieser Legislaturperiode haben wir sehr viel für die ambulante Pflege getan. Jetzt führen wir den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein, womit vor allem die Versorgung demenziell erkrankter Menschen verbessert werden soll. In Zukunft müssen wir uns verstärkt um die Pflege in stationären Einrichtungen kümmern. Neben finanziellen Entlastungen für Pflegebedürftige wird es hier vor allem auch um bessere Personalschlüssel und eine Stärkung der Pflegenden gehen.

In einer älter werdenden Gesellschaft werden wir mehr denn je eine gute medizinische Versorgung von der Prävention bis zur Rehabilitation brauchen. Leider wird vor allem die Rehabilitation zur Vorbeugung oder Vermeidung von Pflegebedürftigkeit heute noch viel zu selten in Anspruch genommen. Hier werde ich mich auch zukünftig dafür einsetzen, dass der gesetzlich verankerte Grundsatz „Reha vor Pflege“ noch besser umgesetzt wird.

Zur Person

Heike Baehrens ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete der SPD und vertritt den Wahlkreis Göppingen über ein Zweitmandat in Berlin. Baehrens ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Nach der Ausbildung zur Bankkauffrau und anschließendem Studium der Religionspädagogik war sie jahrelang als Geschäftsführerin im Diakonischen Werk Württemberg tätig, ehe sie in den Bundestag einzog.